Das magische Dreieck (25.05.2001 19:45:05 in Nachhaltige Politik)
Wenn wirtschaftliche, soziale und ökologische Interessen aufeinander stoßen, kommen Umweltziele schnell unter die Räder.
erschienen in: Tagesspiegel am 25. Mai 2001
von Reinhard Loske
Seit dem "Erdgipfel" von Rio de Janeiro 1992 ist der Begriff der nachhaltigen Entwicklung in der nationalen und internationalen Umweltdebatte fest verankert. Darüber, was mit diesem Terminus genau gemeint sein könnte, besteht freilich noch keineswegs Einvernehmen. Zwei Überlegungen erfreuen sich jedoch im Grundsatz einer hohen Akzeptanz: die Idee der Generationengerechtigkeit und die Idee der Integration von ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen.
Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung plädiert für einen erweiterten Gerechtigkeitsbegriff. Es fragt, wie gerecht es zwischen den heute lebenden Menschen zugeht, etwa zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Reichen und Armen. Aber es fragt auch, ob wir den nachfolgenden Generationen bekömmliche Lebensbedingungen hinterlassen und fair mit ihnen umgehen. Wie sehr verschmutzen wir die Natur mit Abgasen, Abwässern und Abfällen? Welche Menge und Qualität an Ressourcen und biologischer Vielfalt geben wir an unsere Kinder und Kindeskinder weiter? Schränken wir durch unser heutiges Tun die Freiheitsgrade kommender Generationen ein? Kurzum: Sind wir gute Treuhänder? Es ist kein Pessimismus, wenn man diese Frage einstweilen mit einem klaren nein beantwortet, wenngleich hier und da umweltpolitische Fortschritte zu verzeichnen sind. Die Fakten, etwa der jüngste Umweltbericht der Vereinten Nationen, sprechen eine zu deutliche Sprache: Der Klimawandel oder der Artenschwund, die Bodendegradierung oder das Leerfischen der Ozeane, all diese Fehlentwicklungen laufen nahezu ungebrochen weiter.
Wie aber wird eine Gesellschaft zukunftsfähig? Die Antwort der Protagonisten nachhaltiger Entwicklung ist das Konzept der Integration: Ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele sollen nicht länger gegeneinander, sondern miteinander verfolgt werden. Die Rede ist vom magischen Dreieck der Nachhaltigkeit. Diese Denkweise ist in der Tat ein qualitativer Sprung, hat aber auch ihre Tücken. Der Fortschritt liegt darin, daß sich alte Frontstellungen überwinden und neue Allianzen finden lassen. So ziehen Bauern und Naturschützer, die sich lange befehdet haben, heute oft an einem Strang: für regionale Wirtschaftskreisläufe, Qualitätsproduktion, Ökotourismus und erneuerbare Energien. Umweltverbände und Automobilindustrie streiten Seit an Seit für Sparautos und schwefelfreie Kraftstoffe. Die Baugewerkschaft kämpft für Wärmedämmung, das Installationshandwerk für Heizungsanlagenmodernisierung, die Anlagenbauer für hocheffiziente Kraftwerkstechnik – und das alles im Namen von Klimaschutz und Arbeitsplätzen. Es ist für die Sache der Ökologie mehr als nützlich, wenn sie starke Hilfsargumente an ihrer Seite hat: Arbeitsplätze, Kosteneinsparung, technische Innovationen und Exportchancen. Politik hat heute die Aufgabe, diesen Win-win-Optionen durch intelligente Rahmensetzung zum Durchbruch zu verhelfen. Kooperative Ansätze sind deshalb ein wichtiges Markenzeichen moderner Umweltpolitik.
Freilich, und hier liegt die Tücke des Nachhaltigkeitskonzepts, ist eine Harmonie von ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen keineswegs immer gegeben. Wenn sich Interessen hart im Raum stoßen, kommen Umweltziele nicht selten unter die Räder. Während der Faktor Kapital und der Faktor Arbeit gut organisiert sind und machtvoll agieren können, hat die Natur oft nur eine schwache Lobby. Und zukünftige Generationen sitzen gar nicht am Verhandlungstisch, wenn Gegenwartsinteressen abgeglichen werden. Eine Umweltpolitik ohne Staat, die nur auf Freiwilligkeit setzte, wäre mithin weder effektiv noch ethisch vertretbar. Was aber kann und muß der Staat leisten?
Das Vorsorge- und das Verursacherprinzip sind tragende Pfeiler unserer Umweltgesetzgebung. In den vergangenen dreißig Jahren wurde ein dichtes Netz an ordnungsrechtlichen Regelungen gesponnen, um den Vorsorgegedanken in den Bereichen Luftreinhaltung, Abfallversorgung, Wasserschutz, Lärmschutz, Naturschutz und Artenschutz zu verankern. Die Bilanz dieser Anstrengungen zeigt Licht und Schatten. Als Erfolg kann etwa der Kampf gegen das Waldsterben gelten. Weitgehende Gesetzeswerke wie die Großfeuerungsanlagenverordnung haben zu einem drastischen Rückgang an industriellen Emissionen geführt. Der Bau neuer Klärwerke und die Einführung schärferer Vorschriften über die Abwasserreinigung haben die Flüsse in Deutschland wieder mit Leben erfüllt. Und eine anspruchsvolle Abfallgesetzgebung hat die wilden Müllkippen weitgehend aus dem Landschaftsbild verschwinden lassen.
Weitaus weniger erfolgreich war die Umweltpolitik hingegen in so schwierigen Handlungsfeldern wie dem Naturschutz: Die Zersiedelung und Zerschneidung der Landschaft hält an, die Umstellung der Landwirtschaft auf eine naturverträgliche Wirtschaftsweise steht erst am Anfang, und der Anteil an Naturschutzflächen liegt immer noch auf niedrigstem Niveau. Mit der Novellierung des Naturschutzgesetzes will die rot-grüne Bundesregierung jetzt eine Trendwende einleiten: Der Gesetzentwurf, der bald ins parlamentarische Verfahren kommt, sieht unter anderem Qualitätskriterien für eine naturverträgliche Landwirtschaft und die Aufstockung der Schutzgebiete auf insgesamt 10 Prozent der Landesfläche vor.
Am Beispiel des Naturschutzes wird aber auch klar, daß das klassische Ordnungsrecht im Umweltbereich heute an Grenzen stößt. Nicht alles kann und sollte im Detail geregelt werden, allein wegen der Gefahr einer überbordenden Bürokratie. Wichtiger ist, daß sich staatliche Politik insgesamt am Kriterium der Umweltverträglichkeit ausrichtet. Die rot-grüne Koalition hat hier erste Schritte in Richtung Integration getan: Im Zentrum der Agrarpolitik werden in Zukunft der Verbraucherschutz, ökologische Qualität und die Regionalorientierung stehen. Freilich müssen auch die europäischen Partner für eine solche Agrarwende erst gewonnen werden, da nur so eine Umlenkung der EU-Fördermittel erreicht werden kann. In der Verkehrspolitik sind die jährlichen Mittel für die Bahn erheblich aufgestockt worden. Durch die Ökologische Steuerreform und die ab 2003 wirksame Schwerverkehrsabgabe für LKW werden Anreize zu Verlagerung und Vermeidung von Verkehr und zur beschleunigten Einführung energieeffizienter Fahrzeuge gegeben. Die Energiepolitik setzt unter rot-grün auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung. Die Instrumente hierfür sind neben der Ökosteuer das Erneuerbare-Energien-Gesetz, eine Bonusregelung für Kraft-Wärme-Kopplung, zinsgünstige Kredite für Altbausanierung, steuerliche Anreize für effiziente Energieerzeugung sowie verschiedene Förderprogramme für Photovoltaik und Biomasseenergie.
Sicher gibt es in der Politik der Bundesregierung auch ökologische Inkonsistenzen. Die Subventionen für Kohle und Fernpendler stehen da an vorderster Stelle. Sie sollten so schnell wie möglich abgebaut werden. Aber insgesamt setzt die Politik doch stark auf Motivation und ökonomische Anreize zum Wohle der Umwelt. Vor allem der Mittelstand und die Technolgiebranche können als Profiteure dieser neuen Umweltpolitik gelten. Hier sind in den nächsten Jahren Milliardenumsätze in dreistelliger Höhe zu erwarten. Wenn Energie teurer wird, werden diejenigen gewinnen, die überzeugende Konzepte der Energieeffizienz anbieten können.
Angesichts dieses Zusammenhangs erstaunt der Widerstand großer Teile der Wirtschaft gegen die Ökologische Steuerreform. Diese Steuer ist ja zunächst einmal nichts anderes als der vernünftige Versuch, dem Verursacherprinzip im Umweltschutz zu seinem Recht zu verhelfen. Würden dem Energieverbrauch seine tatsächlichen Kosten angelastet, also auch die Klimaschäden, Gesundheitsschäden und Waldschäden, müßten die Energiepreise deutlich über dem heutigen Niveau liegen. Da das Vorgehen der Bundesregierung bei der Einführung von Ökosteuern ein schrittweises und sehr moderates ist, bleibt Bevölkerung und Wirtschaft Zeit für Anpassungsreaktionen: bei Investitionen, Beschaffungen und Mobilitätsverhalten. Der Weg, die Steuerlast auf den Faktor Energie schrittweise zu erhöhen und im Gegenzug die Steuer- und Abgabenlast auf den Faktor Arbeit zu reduzieren, sollte dauerhaft fortgesetzt werden. Die ökologischen und ökonomischen Folgen sind, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erst gerade bestätigt hat, positiv: Allein durch die Ökosteuer in ihrer jetzt beschlossenen Form werden 250.000 Arbeitsplätze geschaffen und 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermieden.
Man kann darüber reden, ob die Ökosteuer nicht in diesem oder jenem Punkt zu modifizieren ist. Man kann und sollte sogar darüber nachdenken, ob im Bereich der Wirtschaft die Ökosteuer nicht über kurz oder lang durch ein System handelbarer Emissionslizenzen abgelöst werden sollte. Aber wer jetzt die Ökosteuer begraben will, der sendet ein klimapolitisch verheerendes Signal: Energie soll billig bleiben und Energieeinsparung lohnt sich nicht. Gegen ein solches Signal sollte vor allem der aufgeklärte Teil der Wirtschaft Sturm laufen. Vielleicht ist ja der neu gegründete Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung, der beim Bundeskanzler ressortiert, ein geeignetes Gremium, um solchen Überlegungen Raum zu geben. Zu hoffen wäre es.
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Europa und die Welt schauen auf Deutschland, wenn es um ökologische Politik geht. Die Führungsrolle, die wir in der europäischen und internationalen Umweltpolitik für uns reklamieren, erfordert glaubwürdiges Handeln zu Hause. Ob es um die Nachhaltigkeitsstrategie der EU geht, um das Kyoto-Protokoll, das Biodiversitätsabkommen oder die Einbeziehung von Umweltstandards in die Welthandelsordnung, ohne eine aktive Rolle Deutschlands wird es hier keine Fortschritte geben. Dabei müssen wir auf dem internationalen Parkett keineswegs nur als Gutmenschen auftreten: Eine aktive Strategie der ökologischen Modernisierung im Weltmaßstab ist nicht nur gut für die zukünftigen Generationen, sondern mindert auch internationale Ressourcenkonflikte und liegt im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Reinhard Loske ist umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Außerdem lehrt er Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin.