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Ist das Treibhaus unser Schicksal? (15.08.2002 20:57:08 in Nachhaltige Politik)

Eine Politik der Klimavorsorge ist billiger als die Anpassung an Klimaveränderungen.


erschienen in: Die Welt am 15. August 2002

von Reinhard Loske


Wer T.C. Boyles Roman "Ein Freund der Erde" gelesen hat, muss in diesen regenreichen Tagen an Tyrone O´Shaughnessy Tierwater denken und an sein Leben in der Treibhauswelt des Jahres 2025. Ty, wie Freund und Feind den tragischen Helden aus Kalifornien nennen, war stets ein aufrechter Kämpfer für die Sache der Ökologie, vor allem in den 80er Jahren des alten Jahrhunderts. Während die ehemaligen Weggefährten von "Earth Forever" mit grüner Rhetorik Karriere machen, landet Ty als Ökofundi zuerst im Knast und dann im gesellschaftlichen Abseits. Letzten Endes jedoch ist alles vergebens, denn die Erderwärmung nimmt unaufhaltsam ihren Lauf.

Und so sieht sie aus, Tys Welt: "Es hat uns alle hart getroffen. Überschwemmungen, Sturm, Donner und Blitz, sogar Hagel. Eine Menge Leute haben kein Dach mehr überm Kopf. … Überall sind Bäume umgestürzt. … Der Wind packt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, um es an ein geheimes Ziel zu tragen, zum Friedhof der fortgewehten Sachen. … Niemand ist heute noch gegen Wetterschäden versichert, Klagen vor Gericht werden automatisch abgewiesen."

Was Boyle literarisch verpackt, hört sich bei Mojib Latif vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg zwar nüchterner, aber nicht wesentlich anders an: Hierzulande werde es während der Sommermonate in Zukunft verstärkt regnen, während der Winter sich wärmer, schneeärmer und stürmischer zeige. Beim Anhalten der gegenwärtigen Emissionstrends klimaverändernder Spurengase sei mit einer Verdopplung der Zahl der Unwetter in den nächsten 50 Jahren zu rechnen.

Die Fakten, die Gerhard Berz von der Münchener Rückversicherung für die Naturkatastrophen der vergangenen 40 Jahre präsentiert, lassen Latifs Prognose ziemlich realistisch, vielleicht sogar konservativ erscheinen: Vergleicht man die 60er mit den 90er Jahren, so ist die Anzahl der Naturkatastrophen weltweit auf das 3,3fache gestiegen, die Summe der volkswirtschaftlichen Schäden auf das 8,6fache und die Summe der versicherten Schäden auf das 16,9fache. Spitzenreiter unter den Wetterkatastrophen: Hurrikan "Andrew" 1992 in den USA mit einer Schadensumme von 30 Mrd. US Dollar und Wintersturm "Lothar" 1999 in Europa mit einer Schadensumme von 11,1 Mrd US Dollar. Berz: "Wir sind mehr denn je davon überzeugt, dass der Klimawandel sich sehr stark in extremen Wetterereignissen niederschlägt"

Wenn, so die Münchener Rück, der Schadensverlauf witterungsbedingter Naturkatastrophen weiter so steigt wie in den letzten 20 Jahren, werden die klimabedingten Schäden im Jahr 2062 höher liegen als das Weltsozialprodukt.

Ob man die literarische Fiktion heranzieht, die Prognosen der Wissenschaft oder die Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Versicherungsmathematik, eine Frage drängt sich auf: Ist die Treibhauswelt unser Schicksal, dem wir uns zu fügen haben? Oder besteht nicht doch die Möglichkeit, mindestens das Schlimmste abzuwenden?

Wer sich dieser Frage kühlen Kopfes nähert, wird die Kosten des Klimawandels von morgen mit den Kosten des Klimaschutzes von heute vergleichen. Von der neoklassischen Ökonomie mit ihrer Zukunftsvergessenheit ist da wenig zu erwarten. In ihren Modellen kommt Klimaschutz nur als teure Angelegenheit vor, die das Wirtschaftswachstum hemmt. Über die Folgen des Treibhauseffekts für landwirtschaftliche Produktivität, Artenvielfalt oder menschliche Gesundheit zerbricht man sich nicht den Kopf – mangels sicherer Daten, wie es entschuldigend heißt. Und auch im Mainstream der Politik, wo langfristige Orientierungen immer weniger zählen, wird Klimaschutz im wesentlichen als Kostenfaktor gesehen. Man scheut die Zumutung ans Wahlvolk und hält an absurden Dingen wie Kohlevorrangpolitik und umweltschädlichen Subventionen aller Art fest.

Es gibt gewiß Argumente der Bedenkenträger, die ernst zu nehmen sind, etwa der Hinweis auf das Problem der Trittbrettfahrer, also der Staaten, die beim Klimaschutz nicht mitmachen, von seinen positiven Effekten aber profitieren. Auch ist richtig, dass die Transformation des Energiesystems Zeit braucht und unnötige Kapitalvernichtung vermieden werden sollte. Bei der Verfolgung klimapolitischer Ziele den Kompaß der Kosteneffizienz nicht gänzlich aus der Hand zu legen, ist durchaus vernünftig, denn Geld steht nicht unbegrenzt zur Verfügung.

Aber mit Krämergeist ist dem Klimawandel nicht beizukommen. Gebraucht wird etwas ganz anderes: ein Gespür für Zukunftsverantwortung und die Bereitschaft zum Neuen. Es ist so ungeheuer wichtig, der negativen Vision von der Treibhauswelt eine positive Vision von einer besseren Welt gegenüberzustellen. Sicher, wir werden nicht umhinkommen, uns auch an den Klimawandel anzupassen, denn ganz aufzuhalten ist er nicht mehr: Besiedlungsverbote in überflutungsgefährdeten Bereichen, die Befreiung unserer Flüsse und ihrer Auen, um Retensionsräume zu schaffen, die Entsiegelung von Flächen, vielleicht auch das Befestigen unserer Häuser und Dämme, all das wird wohl nötig sein.

Positive gesellschaftliche Energie erwächst aber nur aus positiven Zielen: Warum nicht für 2015 das Null-Emissions-Auto anstreben, für 2020 das Niedrigenergiehaus, für 2030 die abfallfreie Kreislaufwirtschaft und für 2050 die CO2-freie Energieversorgung? Warum nicht das Ziel verfolgen, Afrikas Elektrifizierung komplett auf der Basis von Solarenergie zu betreiben, Amazoniens Entwaldung durch nachhaltige Fortwirtschaft in zehn Jahren zu stoppen und Chinas Industrialisierungsprogramm mit bester Technik auszustatten? Warum nicht klar sagen: Europa wird seine umweltschädlichen Subventionen in Energie, Verkehr und Landwirtschaft bis 2010 auf null fahren und die eingesparten Beiträge in zukunftsfähige Entwicklungen investieren, je zur Hälfte daheim und in den Ländern des Südens? Das wäre ein starkes Signal – für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit.

Eine bessere Welt hat ihren Preis. Aber er ist nicht so hoch wie der des Lebens in einer Treibhauswelt der Beschränkungen und Ängste. Vor allem jedoch: Das Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit ist eine wunderbare Aufgabe. Wir müssen nicht alle zu Idealisten werden, aber von Verrückten wie Ty Tierwater ist eine Menge zu lernen. Vielleicht sind sie in Wahrheit die Stimme der Vernunft.

Reinhard Loske ist Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und lehrt Politische Wissenschaften an der FU Berlin. Sein Buch "Klimapolitik. Im Spannungsfeld von Kurzzeitinteressen und Langzeiterfordernissen" (Metropolis) gehört zu den Standardwerken der deutschen Umweltliteratur.

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