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Lieber grüner "New Deal" als Geldverbrennung (30.12.2008 22:37:25 in Über den Tag hinaus)

Die Krise als Chance


Zeit Online 30. Dezember 2008

von Reinhard Loske


Lieber grüner "New Deal" als Geldverbrennung

Die Konjunkturkrise und der Klimawandel haben gemeinsame Wurzeln und lassen sich nur bekämpfen, wenn man sich gut abstimmt – sonst droht der Kollaps. Klimaschutz und Wirtschaftskrise müssen sich nicht widersprechen

Spätestens seit der ehemalige Weltbank-Ökonom Sir Nicholas Stern es uns 2006 vorgerechnet hat, wissen wir, dass die Kosten eines ungebremsten Klimawandels in der Zukunft wesentlich höher liegen werden als diejenigen eines vorsorgenden Klimaschutzes in der Gegenwart. Diese schlichte Wahrheit konnte auch deshalb auf breite Akzeptanz rechnen, weil sie mit einem Angebot verbunden war: demjenigen nämlich, dass Klimaschutz zugleich eine Fülle von wirtschaftlichen Chancen und technischen Innovationen bereithält. Mit dem explosionsartigen Anstieg der Energiepreise bis Mitte 2008 gewann die grüne Technologieoption noch mehr an Plausibilität und Strahlkraft. Denn wer Energie effizienter nutzt, einspart und aus erneuerbaren Quellen gewinnt, der tut nicht nur etwas für den Klimaschutz und zukünftige Generationen. Sondern er senkt auch seine Abhängigkeit von teuren Öl- und Gasimporten, verbessert die nationale Energiesicherheit und die technologische Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen. Wirtschaftlicher Strukturwandel, Klimaschutz und Sicherheitspolitik müssen und können deshalb Hand in Hand gehen. Wenn von der deutschen Kanzlerin über den Kommissionspräsidenten der EU bis zum UN-Generalsekretär alle diesen Zusammenhang immer wieder betont haben, dann darf wohl mit gewissem Recht von einem "neuen Mainstream" gesprochen werden. Viele ökologisch engagierte Menschen haben die Entwicklung der vergangenen beiden Jahre denn auch als Wendepunkt in der Klimapolitik verstanden und dafür eine Fülle von Indizien gesehen, nicht zuletzt den Friedensnobelpreis für Al Gore und den Klimarat der Vereinten Nationen. Wie tragfähig aber ist dieser verbale Konsens, wenn es um Realpolitik geht? Die aktuelle Wirtschaftskrise ist da der Lackmustest schlechthin. Die Entscheidungen und Diskussionen der vergangenen Monate verheißen bislang wenig Gutes, auch wenn der Kampf um den richtigen Weg noch nicht entschieden ist. Die Art und Weise etwa, wie die "Klimakanzlerin" in Brüssel anspruchsvolle CO2-Standards für Automobile zerschossen hat, war beschämend. Auch dass eine unheilige Allianz der Regierungen Polens, Italiens und Deutschlands den Emissionshandel deutlich abgeschwächt hat, sät Zweifel an der Ernsthaftigkeit der europäischen Klimaschutzbemühungen. Das alles war kein Ruhmesblatt und kam auch auf der Weltklimakonferenz in Posen entsprechend an. Zahllos sind mittlerweile die direkt klimaschädlichen Vorschläge, die jetzt im Zusammenhang mit den diversen Konjunkturpakten sprießen. Da werden neue Autobahnen, neue Kohlekraftwerke und neue Unternehmenssubventionen ohne jede Konditionierung ebenso vorgeschlagen wie wahllose Konsumgutscheine auf Pump, so als gäbe es ein Kriterium wie das der Nachhaltigkeit gar nicht. Fehlen darf selbstverständlich auch der Evergreen "Verfahrensbeschleunigung" nicht, in dem der Bürger nur als Störenfried zügiger Investitionsumsetzung vorkommt – obwohl Klagemöglichkeiten gegen Großprojekte in Deutschland schon auf eine einzige Instanz beschränkt worden sind, nämlich auf das Bundesverwaltungsgericht. Würde in den Industriestaaten jetzt ein Weg beschritten, in dessen Zentrum Strukturkonservierung und Konsumanheizung stünden, könnten wir die Klimaschutzziele vergessen und wären unserer historischen Verantwortung nicht gerecht geworden. Aber das muss nicht so sein. Im Gegenteil, die Alternative liegt auf der Hand. Wir brauchen einen grünen New Deal, in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. Dieser New Deal geht davon aus, dass die Ursache beider Krisen, der Wirtschafts- wie der Klimakrise, in Nicht-Nachhaltigkeit liegt, also in Ressourcenplünderung und -vergeudung, überzogenem Wachstumsdrang, unmäßigen Gewinnerwartungen und mangelhafter Einbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft. Ausgehend von dieser Grundeinschätzung sollten sich die Staaten in ihren Programmen der nächsten Monate von folgenden Prinzipien leiten lassen: 1) Öffentliche Investitionen im Hochbau sollen vor allem dazu dienen, vorhandene Gebäude energetisch zu ertüchtigen und so deren Energieverbrauch und CO2-Ausstoß drastisch abzusenken. Hierbei sollte der Einsatz erneuerbarer Energien so hoch wie möglich sein. Dies betrifft vor allem Verwaltungsgebäude, Schulen, Universitäten, Sporthallen, Theater und Museen. 2) Öffentliche Investitionen im Tiefbau sollen vorrangig an der Erhaltung und der Pflege des vorhandenen Bestandsnetzes ausgerichtet werden. Das betrifft vor allem Straßen, Schienenwege, Wärme- und Kanalnetze. Hier ist der Nachholbedarf am größten. Beim Neubau soll umweltverträglichen Infrastrukturen systematisch der Vorzug gegeben werden, also zum Beispiel der Schiene vor der Straße. 3) Neue Technologien brauchen neue Infrastrukturen, weshalb der Staat dabei helfen muss, sie aufzubauen. Das gilt in der Kommunikationstechnologie, noch mehr aber bei intelligenten Stromnetzen, die in Zukunft anderen Anforderungen genügen müssen als bei der heute noch überwiegend zentralistischen Kraftwerksstruktur. Auch die Wasserwirtschaft und die Kreislaufwirtschaft stehen vor gewaltigen Umbrüchen, die es zeitnah zu unterstützen gilt. 4) Staatliche Zuschüsse an Private, etwa zur Gebäudesanierung oder zur Heizungsanlagenmodernisierung, wirken klimaentlastend, beschäftigungsfördernd und haben einen hohen Multiplikatoreffekt. Hier muss der Staat nachlegen. 5) Staatliche Zuschüsse an Unternehmen sind streng an Klimaschutzkriterien zu binden. Pauschale Hilfen an die Automobilindustrie etwa soll es in Zukunft nicht geben. Nur wer glaubhaft versichern kann, dass er Klimaschutz und Energieeffizienz konsequent verfolgt, darf (im Notfall) auf Unterstützung rechnen. 6) Der Staat hat durch die Finanzkrise und die daraus folgenden "Schutzschirme" einen gewaltigen Einfluss auf die Banken bekommen. Es geht sicher nicht darum, das Bankwesen demnächst vom Staat betreiben zu lassen. Aber es geht sehr wohl darum, den Banken einen klaren Rahmen vorzugeben, der die Begrenzung von Spekulationsgeschäften, die Beförderung mittelstandsfreundlicher Kreditvergaben und die Unterstützung eines klimaverträglichen Strukturwandels einschließen muss. Ohne Bankenreform wird nachhaltige Entwicklung nur schwerlich gelingen. 7) Es ist bislang immer ins Auge gegangen, wenn der Staat einen unabwendbaren Strukturwandel aufzuhalten versucht. Es wäre deshalb ein Riesenfehler, Innovationsdruck von der Wirtschaft zu nehmen und einen absehbaren Strukturwandel durch offene und verdeckte Subventionen aufzuhalten. Kohlekraftwerken, Spritschluckern und Ölheizungen gehört nun einmal nicht die Zukunft. Viel wichtiger ist es jetzt, die Mittel für Bildung und Forschung deutlich aufzustocken, um unsere Gesellschaft zu der großen Transformation zu befähigen, vor der wir stehen, Es ist nicht sicher, dass der Treibhauseffekt allein mit einem solchen Konjunktur-undKlima-Paket wirksam bekämpft werden kann. Wahrscheinlich müssen wir noch viel mehr tun, unsere Lebensstile grundsätzlicher verändern. Aber das K.u.K.-Paket würde mobilisierend wirken und wäre in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Reinhard Loske, 49, ist Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa der Freien Hansestadt Bremen und Vorsitzender der Studiengruppe für Globale Zukunftsfragen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Im Sommer erhielt er für seine politische und wissenschaftliche Arbeit den Adam-Smith-Preis des Fördervereins für ökologisch-soziale Marktwirtschaft.

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