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Rede zum BDK-Antrag: Für einen neuen Realismus in der Umweltpolitik. (02.12.2006 20:53:05 in Nachhaltige Politik)

Rede BDK Köln am 2.12.2006

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!


Liebe Freundinnen und Freunde,

was die ökologische Frage betrifft, so leben wir in einer kritischen Zeit,

wahrscheinlich viel kritischer als wir angenommen haben.

Das UN-Klimagremium prognostiziert einen verheerenden Klimawandel – von schmelzenden Gletschern und Polen über steigenden Meeresspiegel und Wetterextreme, Völkerwanderungen, weit reichende Folgen für die Landwirtschaft, die biologische Vielfalt und die menschlichen Infrastrukturen, von der Wasser- bis zur Energieversorgung – wenn wir beim Schutz der Erdatmosphäre nicht schnell und entschlossen handeln: Der frühere Chefökonom der Weltbank Nikolas Stern, sieht eine schwere Erschütterung der Weltwirtschaft auf uns zurollen, wenn vorsorgender Klimaschutz unterbleibt, eine Erschütterung, die nur vergleichbar wäre mit den Folgen der beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts. Vor allem hat er gezeigt, dass die Kosten unterlassenen Klimaschutzes diejenigen der Klimavorsorge um ein Vielfaches überschreiten.

Vorsorge so die alte Weisheit, ist eben besser als hinterher den Schutt weg zu räumen. Ganz ähnlich sind die Befunde des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen über den Zustand unserer Meere oder des UN-Millennium Reports über die Gefährdung der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt.

All diese Dinge so beim Namen zu nennen wie sie sind, ist kein Alarmismus sondern nichts anderes als Realismus. Es ist unrealistisch die Augen vor den Problemen zu verschließen und zu hoffen, dass sich schon alles zum Guten wenden werde. Es ist unrealistisch anzunehmen mit ein paar kleinen Korrekturen hier und da könnten die Herausforderungen gemeistert werden. Vor allem aber ist es unrealistisch, nur zu Reden und nicht zu Handeln, wie es mittlerweile weit verbreitet ist. Beim Klimaschutz ist das Fenster der Möglichkeiten für gute Lösungen noch für ein bis zwei Dekaden geöffnet. Wenn wir in diesem Zeitfenster nicht konsequent Umsteuern, wird es in Zukunft kaum noch möglich sein katastrophenhafte Zuspitzungen zu vermeiden. Nicht-Handeln würde uns und unsere Kinder nicht nur ökologisch und ökonomisch teuer zu stehen kommen. Nicht-Handeln wäre auch ganz und gar asozial, denn vom Klimawandel und seinen Folgen sind in besonderer Weise arme Länder und arme Menschen betroffen, die zur Entstehung des Klimaproblems praktisch nichts beigetragen haben! Mit Gerechtigkeit hätte das nichts mehr zu tun.

Nicht zuletzt wäre ein verschärfter Klimawandel eine elementare Freiheitsbedrohung, denn wo nur noch der Sachzwang regiert, bestehen kaum noch Freiheitsgrade bei der Wahl der Mittel. All das sollte uns dazu führen, jetzt realistisch-radikal für das Notwendige einzutreten. Das ist im Übrigen kein Widerspruch, denn wer die Probleme realistisch analysiert, dessen Vorschläge müssen notwendigerweise radikal ausfallen. Wir sollten keine Scheu haben, dieses Begriffspaar selbstbewusst zu nutzen. Ich plädiere dafür.

Was bedeutet es für die Grünen, wenn die Themen Ökologie und Klimaschutz jetzt dem engen Rahmen der Umweltpolitik entwachsen und gewissermaßen in den Mainstream von Politik und Wirtschaft vordringen? Wir sollten keineswegs die Haltung aufbauen, jetzt klauen uns andere unser Thema. Das wäre nicht nur töricht, sondern würde außer uns auch niemanden interessieren. Auch wäre es grundfalsch, jetzt in rot-grüner Nostalgie zu schwelgen und die guten alten Zeiten zu beschwören. Sicher, es steht manches Prachtstück in unserem Trophäenschrank: das Erneuerbare Energien Gesetz, die Ökosteuer, der Atomausstieg. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass das bestenfalls Anfänge waren, die neben fortdauernden Fehlentwicklungen standen. Eher muss man sagen, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist es bislang nicht gelungen, angemessene Antworten auf die ökologische Krise zu finden. Auch den Grünen und den Ökologiebewussten nicht! Wir sollten uns auf keinen Fall eine Haltung leisten, die da lautet: Die Kompetenzzuschreibung in Sachen Ökologie haben wir sowieso da müssen wir uns nicht besonders anstrengen. Das wäre ein riesen Fehler. Sicher, wir sind das Original die anderen die Kopien. Aber wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass ökologische Rhetorik bei den anderen Parteien und in großen Teilen der Wirtschaft zum Standard wird. Deshalb kommt es in Zukunft viel stärker auf die konkreten Taten an, auf die Aktion, auf das was tatsächlich passiert.

Was wir heute erleben, ist oft ein dramatisches Auseinanderklaffen von Wort und Tat.

Und da ist die große Koalition ein ganz besonderer Fall. Bei der Chemikalienpolitik redet sie von Gesundheitsschutz, aber faktisch betreibt sie in Brüssel rüdesten (?) Lobbyismus für die Chemieindustrie. Bei der Föderalismusreform redet sie von einem effektiven Umweltrecht, faktisch aber schwächt und zersplittert sie das Umweltrecht.

Beim Emissionshandel redet sie von Klimaschutz, faktisch aber gestaltet sie ihn als Förderinstrument für den Neubau von Kohlekraftwerken. Soviel gespaltene Zunge lässt sich nur schwer ertragen und ich bin froh, dass wir in all diesen Diskussionen hochpräsent sind.

Das Auseinanderklaffen von Wort und Tat kann man an anderer Stelle noch dramatischer beobachten: In großen Teilen der Wirtschaft, vor allem in der Energiewirtschaft, in der Automobilindustrie und in der Luftverkehrswirtschaft.

Nehmen wir die Stromkonzerne. Sie bleiben ihren Beitrag zum Klimaschutz auf der ganzen Linie schuldig. Allein hier in NRW sollen in den nächsten sechs Jahren acht (?) neue Kohlekraftwerke gebaut werden, die jährlich 60 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Von der viel erklärten (?) CO2-Abscheidung keine Spur. Das sind so viele Klimagase wie die ganze Schweiz pro Jahr ausstößt, allein durch Kraftwerksneubauten in NRW. Dies ist absolut unvereinbar mit unserem Klimaschutzziel. Diese Kraftwerke haben einen Wirkungsgrad von etwas über 40 Prozent und laufen 40 Jahre. In Wahrheit sind das also Wolkenmaschinen, die nebenbei Strom erzeugen. Solche Dinosaurier passen nicht mehr in die Zeit.

Unser Weg ist ein anderer: Wir wollen, dass die Kohlenprivilegien im Rahmen des Emissionshandels fallen und dass die Zertifikate versteigert werden. Wir wollen, dass es auf den Strommärkten endlich fairen Wettbewerb gibt und den Monopolen die rote Karte gezeigt wird. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass vier Konzerne 90 Prozent des Marktes kontrollieren und dann auch noch mit den Atomrückstellungen in Europa shoppen gehen. Wir wollen einen fairen Netzzugang für alle, dezentrale Versorgungsstrukturen, hocheffiziente Kraftwerke, Kraft-Wärme-Kopplung und vor allem setzen wir auf Erneuerbare Energien. Ihnen gehört die Zukunft.

Über allem freilich steht die Energieeinsparung in Haushalten, Büros und Fabriken.

Denn die klimafreundlichste Energie ist diejenige, die gar nicht erst produziert werden muss. Für Energie, die intelligent weggespart wird, fallen keine Kosten an. Das ist auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung drohender Energiearmut. Erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Effizienz sind der Schlüssel zu mehr Energiesicherheit. In diesen Zeiten wahrlich kein unwichtiges Argument. Vor allem können durch eine konsequente Orientierung der Energiepolitik an den drei großen E’s, Energieeinsparung, Erneuerbare, Effizienz, Millionen von Arbeitsplätzen entstehen. Wenn wir Energieverbrauch durch Energieintelligenz ersetzen, profitieren Landwirtschaft, Industrie und der Dienstleistungssektor. Vor allem aber das Handwerk. Die Parole der Zukunft wird lauten: Handwerk hat grünen Boden. Und wir werden diejenigen sein, die den Weg dafür frei machen. Was die technischen Investitionen für den Klimaschutz betrifft, so liegt ein riesiges Land der Möglichkeiten vor uns. Wir müssen uns nur entscheiden, es entdecken zu wollen.

In unserer Politik geht es nicht pauschal um Wirtschaftsfreundlichkeit oder Wirtschaftsfeindlichkeit. Wir sind selbstverständlich wirtschaftsfreundlich, wo die Unternehmen verantwortungsbewusst handeln und innovativ sind. Unternehmen, die mit grünen Zielen schwarze Zahlen schreiben, haben uns an ihrer Seite. Sie können sich auf uns verlassen. Wir wollen funktionierende Märkte. Deshalb wollen wir marktkonforme Instrumente wie die ökologische Steuerreform oder den Emissionshandel ausbauen. Aber man muss auch sagen, dass wir da, wo die Wirtschaft systematisch ihre umweltpolitischen Zusagen bricht, vor einer Renaissance des Ordnungsrechts stehen.

Angesichts des Klimawandels ist es nicht mehr hinnehmbar, dass die Automobilindustrie immer wieder krachend ihre CO2-Zusagen verfehlt. Deshalb brauchen wir verbindliche Verbrauchsobergrenzen für Automobile: Fünf Liter bis 2012, drei Liter bis spätesten 2020. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Stromwirtschaft entgegen ihrer Zusagen systematisch den Ausbau der Kraft-WärmeKopplung behindert. Wir brauchen ein Gesetz, das den notwendigen Zubau garantiert. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Emissionen des Luftverkehrs immer weiter wachsen, er aber von Kerosinsteuern, der Mehrwertsteuer und dem Emissionshandel ausgenommen ist. Diese Privilegien müssen fallen, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Auch wenn es uns nicht leicht fällt: Wir müssen die falschen Friedensverträge, die sich um den Gummibegriff der Nachhaltigkeit gebildet haben, aufkündigen. Das ist notwendig, wenn wir vorankommen wollen.

Anrede, wer in Sachen Klimaschutz etwas bewegen will, der braucht dazu bewusste und aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbraucher. Ohne sie geht nichts. Und ohne veränderte Lebensstile geht erst recht nichts. Es gibt Leute, die sind der Meinung, von Lebensstilfragen sollte die Politik besser die Finger lassen, das klinge zu sehr nach Belehrung. Das mag stimmen, wenn man den Zeigefinger nur erhebt, nicht aber wenn man den Finger in die Wunden der Konsumgesellschaft legt. Es gibt so viele Möglichkeiten umzusteigen – und sich dabei gut zu fühlen. Man kann den Atom- und Kohleausstieg selber machen und auf grünen Strom umsteigen. Man kann den Ölkonzernen eine Nase drehen und auf ein verbrauchsarmes Auto oder die Bahn umsteigen. Man kann seine Stromrechnung senken und nur noch effiziente Geräte kaufen. Das alles hat nichts mit Verzicht zu tun, aber sehr viel mit der Nutzung von Verbrauchermacht. Und vor allem bieten diese Themen vielfältige Möglichkeiten für konkrete Aktionen vor Ort: vor Kraftwerken, vor Autohäusern oder in Elektromärkten.

Warum nicht mal im Tross bei Mediamarkt und Saturn vorbei schauen und sanft nachfragen, warum hier noch immer Kühlschränke der Effizienzklasse B verkauft werden, obwohl A++ längst der Standard ist. Das ist nicht "geil", sondern saublöd.

Anrede,

bei allem Selbstvertrauen müssen wir uns aber selbst schwierige Fragen vorlegen:

Ich will exemplarisch nur zwei nennen: Biokraftstoffe und die CO2-Abscheidung in Kohlekraftwerken:

Biokraftstoffe sind sicher eine interessante Perspektive. Sie können das Klima entlasten, Erwerbsalternativen für die Bauern schaffen und Wertschöpfung im ländlichen Raum halten. Aber wir müssen auch vorsichtig sein. Auf dem heutigen Verbrauchsniveau wäre der Komplettumstieg auf Biosprit eine Katastrophe. Mehr Monokulturen, mehr Pestizide, mehr Stickstoffdünger, weniger Naturschutz, das wäre ein zu hoher Preis für den Anbau von Energiepflanzen. Erst recht können wir nicht wollen, dass für den Anbau von Palmöl oder Biosprit aus Soja und Zuckerrohr Regenwald zerstört wird. Es wäre ein Widersinn erster Güte, wenn unsere Autos zum Haupttreiber der Regenwaldzerstörung würden. Deshalb müssen wir es sein, die hier zukunftsfähige Pfade beschreiben und nicht einseitig Argumentieren.

Ein anderes Beispiel: CCS, Kohlenstoffabscheidung und –endlagerung. Diese Technologie sehen wir kritisch: Sie ist eine zentralistische Großtechnologie, senkt den Wirkungsgrad der Kraftwerke beträchtlich und ist nicht unproblematisch, was die Endlagerung des Kohlenstoffs betrifft. Es gibt also mehr als genügend Gründe sie kritisch zu sehen. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Kohle in vielen Teilen der Welt auch zukünftig eingesetzt wird, vor allem in China, Indien, den USA und auch in Europa. Ohne CCS wäre die Klimakatastrophe so vorprogrammiert. Wir müssen uns mit dieser Technologie noch sehr intensiv auseinandersetzen. Ich plädiere für eine kritische aber nicht grundsätzlich ablehnende Haltung zu ihr.

Anrede,

ich bin froh, dass wir heute intensiv über Ökologie und Klimaschutz diskutieren. So wichtig die Auseinandersetzungen im Detail sind, wir sollten die Debatte über Klimaschutz nicht darauf reduzieren, ob wir die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 oder 90 Prozent reduziert haben. Wichtig ist, dass wir begehbare Wege in eine lebenswerte Zukunft aufzeigen. Und das in dem Bewusstsein, dass es auf die nächsten zehn Jahre ganz entscheidend ankommt. Ich wünsche mir, dass von Köln, meinem Wahlkreis, ein starkes Signal ausgeht: Die Grünen sind die Partei der Ökologie, des Klimaschutzes, die Partei der Zukunft. Die Grünen machen Politik auf Augenhöhe der Herausforderungen. Wir müssen ein ganz großes Rad drehen.

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